An manchen Tagen läuft es einfach nicht. Kind 1 macht plötzlich wieder in die Hose, weil der Popo nicht Bescheid gesagt hat, Kind 2 zahnt und hat miese Laune. Kein Adventskranzbasteln mit Glühwein also für Mama, stattdessen knatschige Mäuse bei Laune halten, gute Miene zu anstrengendem Spiel machen, den Kontostand ignorieren und mit der kompletten Bande los den Wocheneinkauf erledigen. Mama gestresst, Kinder unleidlich, eine vielversprechende Ausgangssituation.

Als eine liebe Kollegin uns auf der Arbeit ihr Leid über ewig kranke Krippenkinder klagte, kam mir der berühmte Fußballsatz von Andi Brehme in den Sinn: “Haste Scheisse am Fuß, haste Scheisse am Fuß!” Seitdem ist das unter uns Mamas in der Abteilung schon fast ein geflügelter Satz. Sagt einfach alles. Wenn es nicht läuft, dann läuft es nicht. Und hast du schon kein Glück, kommt auch noch Pech dazu. Fünf Euro ins Phrasenschwein.
Was mich aber wirklich manchmal verzweifeln lässt, ist, dass die Kinder anscheinend genau dann anfangen zu bocken, wenn ich mich doch eh schon abracker. Dann ist nichts mehr mit dem angeblichen Kooperationswillen, der ihnen doch angeboren sein soll. Dann will Kind 2 den ganzen Tag “ich krieg dich” spielen, also weglaufen und gefangen werden, anstatt Schuhe anzuziehen und Kind 1 sagt aus Prinzip zu allem Nein. Laut und deutlich. Nein, keinen Hustensaft für mich. Nein, kein aufräumen. Nein, ich will mich heute nicht anziehen. Nein, die Kartoffeln sind voll eklig Mama. Nein, nein, nein. Arghhh!!
Und jetzt frag ich euch, ihr bedürfnisorientierten Mamas: Was dann?
Bedürfnisorientiert find ich toll. Ich mag Blogs wie das gewünschteste Wunschkind oder geborgen wachsen oder von guten Eltern. Ich schätze Herbert Renz-Polster, Nora Imlau und unsere Kinder durften (Langzeit-) stillen, ins Tragetuch und ins Familienbett.
Der Drahtseilakt zwischen meinen Bedürfnissen und denen meiner Kinder macht mir dennoch manchmal Probleme.
Wenn die Kinder so gar nicht mitmachen wollen, was macht ihr? Bleibt ihr dann zuhause, anstatt zur Arbeit und in den Kiga zu gehen? Lasst ihr das Kind selbstbestimmt entscheiden, ob es die Medizin nimmt? Ich habe da so meine Probleme mit.
Ich weiß, dass ich mich jetzt zwischen stark umkämpfte Fronten werfe, aber ich finde, dass Kinder eben doch auch einen Rahmen durch uns Erwachsene brauchen und eben nicht alles selbstbestimmt entscheiden können.
Zumindest weiß ich, dass “unerzogen” für unsere Familie keine Lösung ist.
Mein Mann und ich erziehen sehr wohl, das ist mir wichtig. (Und ich finde an dem Wort per se auch erstmal nichts Negatives wie so manch anderer.) Aber wir tun das mit viel Verständnis und möglichst auch auf Augenhöhe. Das ist unser Weg und ich finde, jede Familie muss ihren eigenen finden. Für uns funktioniert dieser Weg (meist) ziemlich gut.
Natürlich zwinge ich mein Kind nicht mit Gewalt, den Hustensaft zu nehmen. Aber ich bleibe so lange mit ihr sitzen und rede mir den Mund fusselig erkläre ihr den Sachverhalt geduldig, bis sie dann eben doch kooperiert. Und ich bin danach meist schwer genervt. Denn das dauert. Mein Kind ist zäh.
Ich will ja gar nicht, dass mein Kind einfach nur “funktioniert”.
Versteht mich nicht falsch. Ich bin selber eher ein Freigeist und sage gern und offen, was ich denke. Ein Kind mit eigenem Kopf finde ich prinzipiell ziemlich gut. Das heisst aber nicht, dass es für mich als Mama nicht trotzdem auch mal anstrengend ist. Meine Tochter scheint das auf jeden Fall von mir geerbt zu haben. Ihr erstes und für lange Zeit einziges Wort: Nein. Nicht Mama, nicht Papa – Nein. Ihr eigener Wille ist ihr wichtig. Und das bewundere ich. Aber im Alltag macht es mir eben auch oft das Leben schwer. So ein bisschen mehr “Ja okay” wär doch manchmal ganz nett.
Übrigens ist genau dasselbe Kind außer Haus äußerst kooperativ und umgänglich. Ich weiß also auch, dass sie sich in meinem Umfeld sicher fühlt, ihre Grenzen wahrzunehmen und auszutesten.
Nichts desto trotz frage ich mich, wie kann ich damit gelassener umgehen, wenn es mal wieder gar nicht läuft? Bleibt mir etwas anderes übrig, als im Kopf bis zehn zu zählen und durchzuatmen? Wie vermeide ich die bösen Wenn-dann-Sätze? Denn wenn ich mir wirklich nicht zu helfen weiß, dann kommen die halt doch. “Wenn du dich jetzt nicht anziehst, dann können wir nicht in den Kindergarten.” Und dann kann Mama kein Geld verdienen, dann gibt es kein Essen, usw. Ist das so falsch?
Und ja, ich habe auch schon gesagt, dann gibt es heute Abend kein Fernsehen. Shame on me. Aber wisst ihr was? Ich bin eben auch nicht perfekt und ich finde, dass meine Kinder das auch überstehen werden.
Denn oh Überraschung, auch ich funktioniere nicht immer so, wie ich soll.
Ich fühle mich hilflos und ohnmächtig, wenn ich auf dem Boden sitze und einem aufgewühlten Kleinkind versuche mit Engelszungen zu erklären, warum zur Hölle es jetzt bitte bitte seine Schuhe anziehen möchte. Ich balle verzweifelt die Faust in der Tasche und verstehe mein Kind dabei ja auch. Ich weiß, dass ich genau das als Kind gehasst habe: dieses “keine Wahl haben”. Aber es gibt nunmal auch keine Alternative für manche Dinge. Ich muss zur Arbeit und das Kind in den Kindergarten. Punkt. Hier gibt es eben wenig Raum für Diskussionen. Wir haben uns aus verschiedensten Gründen für diesen Weg entschieden und stehen dahinter.
Ich lasse mein Kind dafür gerne andere Dinge mit entscheiden. Auf einer anderen Ebene. Ich lasse es entscheiden, ob es nun die eine oder die andere Jacke tragen möchte, wie es seine Haare tragen möchte, mit wem es sich treffen möchte, usw. Sie darf vor die Tür und testen, dass es wirklich so kalt ist und wir lieber die Winterjacke anziehen sollten und nicht die Sommerbluse. Aber in Sommerbluse losziehen lasse ich sie halt nicht. Denn meiner Meinung nach ist sie nicht alt genug, um überschauen zu können, dass sie sich dann erkälten könnte. Mein Kind sieht das selbstverständlich anders. 😉
Vielleicht sind unsere Charaktere der Grund für diese explosive Mischung?
Möglicherweise treffen hier im Haus auch einfach vier eigensinnige Freigeister aufeinander. Denn auch mein Mann und ich streiten immer wieder darüber, wer jetzt mal wieder Recht und wer die Hosen an hat. Ich würde ja tippen, dass jeder ein Bein trägt. Und die Kinder stehen dem in nichts nach. Jeder hier gibt gern den Ton an und manchmal ergibt das alles zusammen eben ein ganz schönes Pfeifkonzert.
Da wir uns alle aber auch immer wieder zusammen finden und fröhlich übereinander kullern und Quatsch machen, hoffe ich, dass die Kinder es auch einigermaßen schadenfrei überstehen, wenn ich mal wieder völlig verzweifelt das böse Fernsehverbot beschwöre.
Wie macht ihr das so? Habt ihr den totalen geheimen Über-Mama/Papa-Tipp? Raucht ihr in Gedanken einen Joint zur geistigen Entspannung? Ich freue mich, von euch zu hören. Love, eure Sonja ❤
Liebe Sonja,
du wolltest wissen, wie “wir” das machen. Ich glaube aber, das spielt gar keine Rolle. Denn es geht ja hier um dich und deine Familie, nicht um uns. Außerdem hast du dir die Antwort doch schon selbst gegeben: Du weißt, dass du nicht perfekt bist, kannst und willst es auch gar nicht sein. Und wer sagt eigentlich, dass bedürfnisorientiert oder unerzogen perfekt ist? Perfekt ist das, was sich für dich richtig anfühlt.
Ich glaube, egal, mit wem du redest, keiner, der bedürfnisorientiert erzieht, schafft es immer, 100 % zu geben. Eben weil man auch noch Mensch ist – mit alle seinen Fehlern und seiner Ungeduld. Bedürfnisorientiert heißt ja auch nicht, dass es nie Reibereien gibt oder dass das Kind immer alles machen darf. Für mich heißt es vor allem, meinem Instinkt die Entscheidung zu überlassen.
Neulich hatte ich einen Fall von: Kind will nicht in den Kindergarten. Böse Falle, hört man da immer wieder, denn wenn du da eeeeiiiinmal nachgibst, denkt das Kind, es kann immer bestimmen – und dann kriegst du es nie wieder in dein Kindergarten.
Quatsch, finde ich. Ich habe gespürt, dass dieses Kind seine Mama vermisst hat. Dass es gerade nach einem Wochenende ohne Mama aufgestanden ist – und dann sollte es schon wieder von ihr fortgerissen werden, wenn alles, was es brauchte, Nähe war.
Ich hab als von zu Hause arbeitende das Privileg, dass ich sowas dann auch einfach mal machen kann. Und dann hab ich mit ihr einen Deal ausgehandelt: “Heute darfst du zu Hause bleiben, aber morgen und den Rest der Woche gehst du in den Kindergarten, weil ich da arbeiten muss und nicht viel Zeit für dich habe tagsüber. Ist das in Ordnung für dich, wenn du den Rest der Woche gehst?” “Ja, Mama, in Ordnung. Ich versprechs dir, dass ich gehe!”
Am nächsten Morgen: “Ich will nicht in den Kindergarten!” …
Ich hab sie dann an unseren Deal erinnert – und damit war die Sache erledigt. Ich glaube, wenn man Kinder mit Respekt behandelt und auf Augenhöhe mit ihnen kommuniziert, dann versuchen sie genau das auch zu tun. Es gibt keinen Grund für eine dauerhafte Protesthaltung.
Klappt nicht immer, ganz klar. Aber die Kinder verstehen doch auch, wenn du schlechte Laune hast oder genervt bist. Kennen sie ja von sich selber auch. Das ist völlig in Ordnung – und menschlich. Solange sie keinen Grund haben, deinen Unmut auf sich zu beziehen, gehört das doch dazu. Und auch wenn das manchmal nicht klappt, kannst du ihnen immer noch dann, wenn es dir wieder besser geht, sagen, dass es um dich und nicht um sie ging. Selbst wenn du sie vorher durch dein Verhalten verletzt haben solltest, kannst du zusehen, dass sofort mit deiner Erklärung und darauffolgenden Entschuldigung Heilung einsetzt. So ist zumindest meine Erfahrung.
Wie gesagt: Bleib bei dem, was du dir selber gesagt hast: Es ist okay, nicht perfekt zu sein. Und es ist okay, in kein gängiges Raster zu passen. Völlig egal, ob es da jetzt um die Ernährung, die Lebenseinstellung oder den Erziehungsstil geht. Zieh dir das aus den verschiedenen Theorien, was für dich gut und richtig klingt. Und den Rest vergisst du einfach wieder. Vielleicht bist du in dem Moment noch nicht so weit – vielleicht wirst und musst du auch nie so weit sein, zumal es zu keinem einzigen Thema/Problem nur die eine, absolut perfekte Lösung (und somit auch nicht die perfekte Erziehung) gibt.
Aufmunternde Grüße sendet
Sandra
Liebe Sandra,
vielen lieben Dank für deine aufmunternden Worte. ❤
Ja ich glaube, man kann sich wohl auch den Kopf zerdenken. Zumal wenn man eh dazu neigt, alles Mögliche zu reflektieren und es (wie wohl jede Mama) natürlich auch möglichst gut machen möchte.
Dein Beispiel mit dem Deal finde ich super. Ich merke auch immer wieder, dass wir total davon profitieren, wenn ich entspannt bin und mir die Zeit nehme, den Kindern zu erklären, warum ich jetzt dieses oder jenes machen möchte. Versteht meine Große warum, dann ist sie in der Regel auch kooperativ.
Besonders deinen letzten Absatz werde ich mir zu Herzen nehmen! Du hast völlig Recht, es ist ja sowas von in Ordnung in kein Raster zu passen. Das finde ich sonst ja auch. Nur in der Erziehung suche ich halt tagtäglich noch immer meine Richtung. Ich bin ja auch erst eine drei Jahre alte Mama und kann genau wie meine Kinder noch so wahnsinnig viel lernen.
Und genau dafür bin ich meinen Kindern total dankbar. Das sie auch mich mit jeder Erfahrung, die wir gemeinsam machen, zu der Frau machen, die ich bin. 🙂
Liebe Grüße, Sonja
Eine drei Jahre alte Mama. 😂 Das wiederum finde ich total klasse. Werde ich mir merken.
Und: Auch du hast ja so Recht! Es ist ein tägliches Lernen, bei dem mal die Kleinen, mal die Großen näher am Meistertitel sind. Wenn ich ehrlich bin, haben allerdings die Kleinen die Nase vorn. 💚
Die Neigung zum Den-Kopf-Zerdenken hab ich übrigens auch. Wieder eine Gemeinsamkeit mehr entdeckt. 😉
Liebe Grüße zurück
Sandra
Haha… Meistertitel ist gut. Und Gemeinsamkeiten entdecken auch! ❤