
Es braucht ein ganzes Dorf um Kinder großzuziehen. Wie oft habe ich diesen Spruch gehört? Und wie oft habe ich sehnsüchtig in die Ferne geblickt und mir selber dann mitleidig auf die Schulter geklopft… Denn wir erziehen weitgehend ohne dieses Dorf. Und ich glaube, wir sind damit nicht allein.
Du sollst flexibel sein, Baby!
Als wir uns vor ein paar Jahren aufmachten, um “mal woanders zu arbeiten”, dachten wir nicht im Traum an so Dinge wie kranke Kinder, Oma-Feste im Kindergarten, Nachmittage geschweige denn Übernachtungen bei den Großeltern oder die Suche nach Babysittern. Wir waren jung, zu zweit und abenteuerlustig. Wir wollten es mal eine Zeit lang woanders probieren. Und wer denkt mit Ende 20 schon daran, dass aus “eine Zeit lang” eventuell mal für immer werden könnte? Wir jedenfalls nicht.
Ohne lang nachzudenken, packten wir unsere Siebensachen – wir waren eh Umzugsprofis – und machten uns auf nach Süddeutschland. Ein spannender neuer Job (der hinterher natürlich nur halb so geil war) lockte. Und nach Jahren im Zentrum des Ruhrpotts und jeder Menge Party lockte uns die Vorstellung es auf dem Land mal ruhiger angehen zu lassen.
Wir waren neugierig auf ein neues Leben.
Das wir irgendwie in dieser Region hängen bleiben könnten, fanden wir hauptsächlich aufregend. Und auch das Nachhausefahren und mal ein paar Tage bei Freunden und Verwandten schlafen, war ohne Kinder hauptsächlich von ein wenig Ruhrpott-Wehmut begleitet, nicht aber von schlaflosen Nächten zu viert in überheizten Gästezimmern.
Aber – ihr wisst wohin die Reise geht – wir wurden älter, beschlossen zu heiraten und viel früher als geplant kündigte sich das mittlerweile große Kind an. Unser Lebensmittelpunkt hatte sich in den letzten Jahren natürlich längst an unseren neuen Wohnort verschoben und während der ersten Schwangerschaft überlegten wir so nur ganz vage, ob wir vielleicht wieder “heim” wollten.
Schließlich aber wurde das große Kind geboren. Wir waren sofort schwer verliebt, aber auch völlig überwältigt als dieses kleine Bündel nur Minuten nach der Geburt aus vollem Hals zu schreien begann und das dann für die nächsten 15 Stunden lang auch fast ununterbrochen tat. Während die anderen Mütter im Krankenhaus selig mit ihren Neugeborenen schlummerten, lief ich den Flur rauf und runter und versuchte mein Kind zu beruhigen. Und so langsam dämmerte mir, dass das hier eher kein Anfängerkind war. Im Gegenteil. Hallo High-Need-Baby! Und ich ahnte zum ersten Mal, dass das für meinen Mann und mich ein ganz schön heißer Ritt werden könnte, so ganz ohne Familie in der Nähe.
Vielleicht sollten wir doch wieder heim?
Nach ein paar Wochen waren wir mittendrin in diesem chaotischen Leben mit einem Neugeborenen. Wir waren übermüdet, zweifelten an uns selbst und suchten unseren Weg als Familie. Wer wollten wir sein als Mama und Papa? Wie sollte all das funktionieren? Und Hölle, wo ist nur mein altes Leben hin? Alle Eltern kennen wohl diese Zeit, in der nicht nur die Seele manchmal wackelt, sondern mitunter auch das halbe Weltbild. In der man schwankt zwischen totaler Glücksseeligkeit und Verliebtheit und manchmal auch nackter Verzweiflung. Bei uns kam auch noch die Frage dazu, ob wir das wirklich schaffen könnten so ganz ohne Hilfe? Sind wir hier richtig? Sollten wir doch wieder heim? Heute weiß ich, tausende Familien schaffen das. Und ohne zu viel vorweg zu nehmen, auch wir fanden natürlich unseren Weg. Aber es war eine ganz schön ordentliche Prüfung.
Und hätten wir uns nicht schon 12 Jahre lang allein gehabt, ich weiß nicht, ob unsere Beziehung dieses totale Aufgeben von allem, was nicht mit dem Kind zu tun hat, so gut überstanden hätte. Aber der Ruf nach der Heimat und dem Schoss der Familie, aus dem wir vorher mit Pauken und Trompeten geflohen waren, der war in dieser Zeit ziemlich laut. Regelmäßig las ich Wohnungsanzeigen und staunte, wie günstig wir in Dortmund oder Bochum leben könnten. Einzig – wieder so gute Jobs zu finden, wie wir sie gerade hatten, das gestaltete sich schwierig. Hätten wir in dieser Zeit das ultimative Angebot bekommen, wir hätten wohl ernsthaft darüber nachgedacht.
Doch dann kam natürlich alles anders. Mein Mann wurde befördert und musste fortan nicht mehr in den Außendienst. Und noch einmal, wer hätte gedacht, dass das Glück eines Tages in Form eines 9 to 5-Bürojobs auf uns warten könnte? Spießigkeit, here we are. And we are happy.
Wir bleiben. Definitiv. Oder?
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber wir sind nicht annähernd so fest verwurzelt in unserer Heimat, wie die Menschen, die wir in unserer jetzigen Kleinstadt kennengelernt haben. Ob es daran liegt, dass wir in einer Großstadt aufgewachsen sind? Oder eher daran, dass wir beide schon früh viel umgezogen sind? Natürlich empfinde ich den Ruhrpott als meine Heimat. Ich liebe (und vermisse bisweilen) die ehrlichen und rotzigen Menschen dort. Wenn ich auf Heimatbesuch bin, werde ich wehmütig, wenn ich das Dortmunder U sehe, oder wenn ich mit meinen Kindern auf dem Schulhof meiner alten Grundschule in Hagen spiele. Wenn ich durch die Straßen dort fahre, fallen mit sofort ganz viele Begebenheiten aus meiner Kindheit und meiner Jugend ein. Das geht wohl vielen so, die von zuhause weg ziehen. Aber so ein richtig festgewachsenes Gefühl habe ich nicht. Und dem Mann geht es da wohl ähnlich.
Auch an unserem jetzigen Wohnort finde ich vieles toll, anderes gewöhnungsbedürftig und manches nervt.
Wie überall halt. Aber hauptsächlich fühlen wir uns wohl. Wir fühlen uns irgendwie angekommen. Doch so ein klein bisschen Gypsy-Sehnsucht bleibt noch immer. Wie könnte sich das Leben woanders anfühlen? Wie wäre es im Ausland? Und andererseits auch die Neugier darauf, wie es wohl ist, so richtig fest verwurzelt zu sein? Ich weiß, wenn wir hier in der Kleinstadt bleiben, werden meine Kinder sich vielleicht mal so fühlen. Hier kennt jeder jeden. Die Kinder gehen in die selbe Grundschule wie die Eltern und Großeltern vor Ihnen. Sie spielen im Sommer am selben See und stehen später mal in denselben Ecken und rauchen heimlich. Und ich finde das unendlich romantisch. Aber ein bisschen macht es mir auch manchmal Angst, dass eben nichts unerkannt bleibt.
Doch wenn ich dann sehe, wie meine befreundeten Mamas ihre Babies selbstverständlich bei der Oma lassen, wenn sie einkaufen gehen, oder die Großen vom Kindergarten abholen, dann ist sie wieder da. Die Sehnsucht nach der eigenen Familie. Der Wunsch, dass Oma und Opa viel mehr am Alltag der Kinder teilhaben könnten. Nicht nur alle paar Wochen mal zu Besuch kommen und wenn es ganz gut läuft, mal bei uns übernachten.
Und natürlich ist da auch die Sehnsucht, einfach mal durchzuatmen und allein was mit dem Mann zu machen. Und zwar ohne einen riesigen Aufriss zu veranstalten und hinterher Unsummen an Geld fürs Aufpassen bezahlen zu müssen. Oma and Opa, we totally miss you. Ach, wär das Leben schön, könnte man alles haben. Oder?
Wie macht ihr das? Sind eure Großeltern fest im Familienalltag integriert? Oder seid ihr auch durchs halbe Land gezogen und jetzt auf euch gestellt? Ich freu mich, von euren Erfahrungen zu hören.
Love, eure Sonja ❤
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